Indien mit einer Royal Enfield, über 10.000 km, 4 Monate
Warum ausgerechnet Indien? Während unserer Weltradeltour (2007-2011) waren wir für einige Monate in Indien unterwegs. Es entwickelte sich während dieser Indien-Radelzeit eine Hassliebe. Diese Monate, zwischen Hass und Liebe, werden wir nie vergessen, denn Indien war für uns, von all den bereits bereisten Ländern, der Kulturschockhammer Nummer 1. Übrigens war es bei Gi damals mehr Hass. Bei mir war etwas mehr Liebe dabei.
Im Flughafen Delhi, steigen wir in die supermoderne Metro, um ins Zentrum zu gelangen. Dabei kommen wir mit 2 netten Jungs ins Gespräch. Wo wollt ihr schlafen, fragen sie. In Paharganj haben wir ein Zimmer gebucht. Da müsst ihr umsteigen. Wir sagen euch, wenn es soweit ist. Danke!
Die Jungs sind wirklich echt nett. Sie erklären uns auch, dass es in Paharganj die meisten Diebe gibt, die Menschen dort oft nicht gut sind und wir sehr, sehr aufpassen sollen.
Wir erzählen den Jungs, dass wir vor einigen Jahren auch im Bahnhofsviertel geschlafen haben, uns also auskennen.
Über eine Fußgängerbrücke, welche den ganzen chaotischen Bahnhof überspannt, wollen wir ins berühmt-berüchtigte Viertel gelangen. Das indische Chaos greift sofort nach uns. Ein uniformierter Mann erklärt uns, wir dürfen da nicht rüber, denn das Viertel sei für Touristen gesperrt. Wir wollen doch nur zum Hotel, sagen wir.
Könnt ihr nicht, denn das Viertel ist von der Polizei abgeriegelt.
Plötzlich steht ein zweiter Mann neben uns. Geht mit mir. Ich werde euch helfen. Nicht weit von hier ist die offizielle Touristinformation von Delhi. Ich kläre euch dort auf.
Dort angelangt, beginnt er seinen Vortrag. Vor einiger Zeit wurde das Todesurteil für einen Mann aus diesem Viertel vollstreckt. Er war am Attentat in Mumbai beteiligt (das Attentat war im Jahre 2008 – 174 Opfer). Seit der Vollstreckung gibt es dort Unruhen und das Viertel wurde für Touristen gesperrt.
Jetzt müssen sich zudem alle Touristen in Delhi registrieren lassen. Dafür brauche ich eure Pässe für eine Ablichtung.
Klingt glaubhaft, denke ich, denn die Geschichte vom Attentat kenne ich. Auch kann ich mich erinnern, dass ein Attentäter gefasst wurde.
Wir haben aber ein Zimmer im Viertel gebucht, erklären wir unserem Helfer.
Habt ihr eine Telefonnummer?
Ich gebe ihm die Nummer. Minuten später steht die Verbindung.
Ja, das Viertel ist gesperrt für Touristen. Es wäre besser, ihr sucht euch ein Hotel außerhalb und natürlich wird für die Buchung per Internet eure Kreditkarte nicht belastet. Es ist ja nicht eure Schuld, sagt mir eine Stimme am Telefon.
Unser Helfer will uns eine neue Unterkunft besorgen, natürlich in einem sicheren Viertel, wie er sagt.
So nebenbei gibt er uns zwei Gästebücher. Da sollen wir reinschauen, bis die Pässe von der Ablichtung zurück sind.
Wir beginnen zu lesen. Da stehen Kommentare auf Deutsch und Englisch drin. Lob erschlägt da fast das nächste Lob. Prima sei unser Helfer. Er ist der beste Mensch von ganz Indien. Er besorgt Taxifahrer, sichere Hotels, vermittelt die tollsten Touren, diese sind natürlich unschlagbar preiswert und, und …
Mir fällt auf, dass die geschriebenen Texte, von der Schreibform her, fast alle gleich aussehen und das Gästebuch, untypisch indisch, viel zu ordentlich erscheint.
Ich rede mit Gi. Ich glaube der Kerl will uns linken!
Ich habe auch ein blödes Gefühl. Irgendwas stimmt hier nicht, flüstert mir Gi zu.
Pass auf Gi, bis wir die Pässe zurück haben, machen wir das Spiel mit. Dann lassen wir Dampf ab. Danach suchen wir uns ein Tuk-Tuk und lassen uns zur Unterkunft bringen.
30 Minuten später verlassen wir die dampfende Bude mit unseren Pässen. Die netten Metro-Jungs hatten recht. Die Nepper, Schlepper und Bauernfänger am Hauptbahnhof von Delhi werden immer gerissener.
Am Abend schauen wir vom Hoteldach auf die Basarstrasse. Natürlich wusste im Hotel niemand etwas von den Unruhen. Auch gab es keinen Anruf.
Die Basarstrasse, welche eigentlich nur eine breite Gasse ist, hat sich seit unserer Fahrradtour kaum verändert.
Es ist immer noch die Gasse mit dem unglaublichen Stromkabelsalat, mit unzähligen verwinkelten Verkaufsbuden, mit Unterkünften der gerade noch ertragbaren und unerträglichen Art, mit ständig dahin strömenden Menschenmassen, mit von Abgasen geschwängerter Luft, mit Restaurants aller Kategorien, mit Tattoostudios, Bars, bewachten Geldautomaten, Taschendieben, Rauschgifthändlern, herumflitzenden Ratten, streunenden Hunden, im Müll mampfenden Kühen, mit 20 Stunden Lärm täglich, mit unglaublich stinkenden Urinalen und doch auch so manch freudiger Überraschung. Es gibt zum Beispiel noch immer mein damaliges Lieblingsgericht in der Gasse. Kartoffelpüree mit gebratenen Zwiebeln bestelle ich somit täglich.
Knapp eine Woche bleibt die Gasse unser Basislager. Da wir ja in Indien motorisiert unterwegs sein möchten, gibt es einige Wege zu erledigen. An diesen Tagen regnet es fast ständig. An manchen Tagen ist es so schlimm, dass wir kaum die Gasse verlassen mögen.
Wenn man in Delhi irgend etwas sucht, sucht man in der Regel Stunden, denn auch wenn man eine Adresse hat, ist es nicht gesagt, dort auch wirklich anzukommen. Die Rikschafahrer sind clevere Typen. Zweimal zeige ich die Adresse von einem bestimmten Motorradshop. Ja, ich fahre euch dahin, war immer die Aussage. Zweimal stellt sich aber heraus, dass die Fahrer keinen blassen Schimmer haben, wo der Shop sein könnte. Beide können sie nicht lesen, wollten aber Geld verdienen. Nach Stunden finden wir den Enfieldshop.
Nach weiteren 4 Stunden unterschreiben wir einen Vertrag. Wir sind somit auf Zeit Besitzer einer Royal Enfield . In 3 Tagen können wir das Motorrad abholen.
Die 3 Tage nutzen wir zur Stadtbesichtigung. Regnet es dabei nicht, so schwitze ich mich Nass.
Für Delhis Kinder ist die Regenzeit gleich Badezeit.
Von unserer Räubergasse aus, ist die Freitagsmoschee von Delhi nicht weit entfernt. Da gerade Freitag ist, statten wir ihr einen Besuch ab. Die Moschee selbst ist nicht unbedingt eine Schönheit. Noch nie haben wir eine Freitagsmoschee in solch einem schmutzigen Zustand gesehen. Sie gleicht da irgendwie der ganzen Stadt. Auf dem Weg bis zur Moschee, erleben wir indisches Chaos in Reinkultur. Die Straßen und Gassen sind permanent verstopft. Da sich jeder den Weg freihupen will, ist der Muezzin fast nicht zu hören.
Was wir da denken? Wir sind gespannt, ob die Idee mit dem Motorrad gut ist? Es wird unsere erste Tour auf einem Motorrad sein. Ich will auch gleich zugeben, wir sind absolute Motorradlaien. Die notwendigsten Dinge haben wir uns erklären lassen. Vorerst soll uns die Enfield bis ans Südkap von Indien bringen. Dies sind immerhin weit über 3.000 Kilometer.
Unsere Royal ist eine 500er Bullet, wiegt mit Beladung weit über 4 Zentner, hat 5 Gänge, 25 PS, einen luftgekühlten Motor, benötigt unter 4 Liter Benzin auf 100 Kilometern und hat natürlich den unnachahmlichen Motorsound.
Da unsere Maschine schon etwas angerostet ist, viele Kilometer hinter sich haben muss, aber trotzdem irgendwie bissig wirkt und wir seit unserer Radeltour durch Indien wissen, wer hier im Straßenverkehr nicht kämpft hat sofort verloren, bekommt unsere Enfield von mir den Namen Kampfmaschine verpasst.
Die erste Herausforderung ist, Kampfmaschine irgendwie ordentlich zu bepacken. Nach viel hin und her, findet aber alles was wir denken auf der Tour zu benötigen, seinen Platz.
Die zweite Herausforderung wird sein, ich muss schnellstmöglich ein Gefühl für die Maschine bekommen, den Linksverkehr verinnerlichen und mich ständig aufs Wichtigste konzentrieren. Ich möchte unter keinen Umständen die Maschine umwerfen oder gar einen Unfall erleben müssen.
Da wir wirklich nicht wissen, was so alles auf uns zukommt, ob uns diese Reiseform überhaupt gefallen wird, ob wir technische Probleme unterwegs meistern werden, auch wenn andere Umstände uns zwingen würden Indien schnell zu verlassen (z.B. Krankheit usw.), haben wir vertraglich festgelegt, dass wir das Motorrad auch vor Ablauf der Vertragszeit (4 Monate), zurückbringen können und dann nur die tatsächliche gefahrenen Tage verrechnet werden. Ein gutes Entgegenkommen, finde ich zumindest. Als wir versuchen, Delhi zu verlassen, grüßen uns 3 Männer von einem Autodach.
Kaum aufgestiegen, öffnen sich die Himmelsschleusen. Da wir am heutigen Tourstart von Delhi noch bis Jaipur tuckern möchten, es aber schon bereits Mittag ist, steuere ich Kampfmaschine einfach dem gefühlt südlichen Hauptverkehrsstrom entlang. Dieser stellt sich sehr schnell als verkehrt heraus. An fast jedem Kreisel, und davon gibt es viele in Delhi, fragen wir erneut nach unserer Wunschrichtung. Nach gefühlten 10 Kilometern Kreiselumrundungen, mit vielen unterschiedlichsten Richtungsaussagen, kommt zu allem Übel hinzu, dass ganz plötzlich Kampfmaschine keine Lust mehr hat. Mitten in einem dieser Kreisel versuche ich Kampfmanschine erneutes Leben einzuhauchen. Vergebens! Die Tour beginnt glänzend! Ich könnte kotzen! Wir schieben die Unwillige unter ein vom Regen sicheres Budendach. Die Inder sind meist hilfsbereite Zeitgenossen.
Da unter dem Dach einige davon versammelt sind, gibt es mindestens 20 Ideen Kampfmaschine wieder zu beleben. Doch recht spät kommt die vermeintliche Lösung. Auch wenn ich nun als ausländischer Depp dastehe, mir ist es aber egal! Die Lösung erscheint nämlich recht simpel. Der Tank ist leer, wieso auch immer.
Da Plastikflaschen in Indien keine Mangelerscheinung sind, die liegen ja an jeder Straße und besonders an Kreiseln als Massenware herum, wechselt recht schnell ein halber Liter Benzin aus einer Plastikflasche den Tank. Wir sind happy! Zumindest für 5 Minuten gilt die glückliche Zeit, denn trotz aller Versuche, die Kampfmaschine zuckt einfach nicht.
Da Inder, besonders als Gruppenversammlung niemals aufgeben, bombardieren sie unsere Mietstation mit ihren Mobiles, schildern mehrfach das Problem und geben uns nach längerer Zeit zu verstehen, bald wird die Reparaturtruppe hier einfahren. Zum Glück hatte ich die Telefonnummer griffbereit. Wir sind erneut happy!
Nach einer Stunde hören wir es tuckern. Die Kampfmaschinen – Reparatur – Truppe rückt an. Die 2 Jungs machen uns zuversichtlich, denn wie Profis breiten sie das Handwerkszeug aus der mitgebrachten Beuteltasche aus. Sie füllen weiteres Benzin nach, schräubeln da und dort, klopfen da und dort und ich kann es kaum glauben, nach wirklich nur 5 Minuten ist Kampfmaschine regelrecht am brüllen. Der Sound erscheint gleichmäßig. Wir sind alle happy!
Die Jungs sagen uns noch, es wären wirklich 3 Liter im Tank gewesen. Warum der nun gleich leer war, sie können es sich nicht erklären. Als Entschädigung eskortieren sie uns zur nächsten Tankstelle. Und wir können es nicht glauben, sie fahren danach mit uns zu 3 weiteren Kreiseln. Beim dritten sehen wir das Hoffnungsschild Jaipur. Per Hupsignal verabschieden wir uns.
Das der Abschied für nur wenige Stunden sein wird, wissen wir da noch nicht. Jedenfalls sind wir zumindest für die Hälfte dieser Zeit recht glücklich, denn Kampfmaschine tuckert wie geschmiert.
Der Regen hat nachgelassen. Es nieselt nur noch leicht.
Viele Inder grüßen uns von ihren Motorrädern, Fahrrädern, Rikschas, LKW's, PKW's und auch aus Bussen. So mancher Gruß kommt mir dabei jedoch komisch vor, denn manch Inder zeigt mit dem Zeigefinger zum Motorrad. Ja genau, es ist eine Enfield, bin ich da meist versucht zu brüllen.
Erst als mir Gi ins Ohr brüllt, da stinkt was nach Benzin, wird mir klar, die Inder haben die Augen überall. Irgendwas stimmt da erneut nicht.
Wenig später halten wir auf einem großen Hotelparkplatz. Uns wird ein Parkplatz zugewiesen. Die indischen Parkplatzwächter sind dienstbeflissene und sehr gewissenhafte Menschen. Bevor ich selbst nachschauen kann woher der Benzingeruch kommt, knien bereits drei Inder vor der Enfield, diskutieren und bemerken schnell, dass ein Schläuchen am Vergaser Benzin kotzt.
Das kann doch nicht sein! Ich kotze gedanklich gleich mit. Bevor ich ins Dauerkotzen abgleite, überreiche ich unseren nächsten Helden der Straße die Telefonnummer der Reparaturtruppe. Danach zünde ich mir eine Zigarette an. Kaum angezündet, brüllt Gi wie eine gesunde Enfield, Wi, spinnst du, hier läuft doch Benzin aus!
Ich will es kurz machen, denn die Sache regt mich noch immer irgendwie auf. Nach ca. zwei Stunden schlendert einer der Reparatur-Jungs über den Parkplatz. Da ist es schon dunkel. Ich sage kein Wort. Sehr laut quasseln tun nur die 3 Parkplatzwächter und die 7 Hotelangestellten untereinander. Der Junge selbst sagt auch kein Wort. Wahrscheinlich erahnt er meine momentane explosive Gefühlswelt? Erst als er nach überraschend kurzer Zeit, sein Werkzeug in der Tasche verstaut, beginnt er zu reden.
Entschuldigung, sagt er. War unsere Schuld. Er versucht mir zu erklären, der Vergaser war falsch eingestellt. Deswegen waren auch so schnell die 3 Liter weg und während unserer nächsten Kilometer ist dann weiterhin Benzin ausgelaufen.
Wir geben uns die Hand. Lächeln kurz. Ich sage nur noch, ich hoffe wir sehen uns erst wieder, wenn wir das Motorrad in Delhi zurückbringen. Jetzt ist wirklich alles in Ordnung, spricht er noch kurz und ist wenig später in der Dunkelheit verschwunden.
Gi hat natürlich in dieser Zeit nicht geschlafen. Sie hat solange im Hotelzimmer - welches übrigens nicht unbedingt eines von der billigen Sorte war - unsere Klamotten zum trocknen an den Deckenventilator gehängt und das Abendessen vorbereitet.
Am nächsten Morgen springt Kampfmaschine überraschend schnell an. Es ist noch wenig Verkehr auf dem Highway. Zum ersten Mal gebe ich so richtig Gas. Ein Gefühl von dahinfliegender Knatter- Freiheit stellt sich ein.
An einer für Indien so typischen, somit oftmals sehr einfachen Highway-Raststätten, machen wir halt. Wir haben Hunger. Im Hotel war uns das Frühstück zu teuer. Die Gefahr sich an den Highway- Buden den Flotten Otto zu holen, ist nach meiner Überzeugung nur verschwindend geringer. Wichtig ist nur, dass die Fliegenanzahl relativ gering ist. Wenige Fliegen garantieren nicht absolute Sauberkeit, sie senken aber das Risiko kräftig, denn wenige Fliegen bedeuten, der Küchentrakt ist sauber.
Wegen dem besseren Verständnis zu manch indischer Eigenheiten, werde ich, sofern erforderlich, Erlebnisse über unserer Welt-Radeltour in den Berichten einmixen, denn manche dieser Eigenheiten haben damals den Gi– Hasspendel kräftig bewegt. Interessant ist für uns auch in den nächsten Monaten, ob sich bezüglich dieser indischen Eigenheiten, etwas geändert hat!
An dieser Strassenküche fällt mir sofort auf, dass die Küchentruppe die Note 1 verdient hat. Alles glänzt, alles ist sauber und die wenigen Fliegen versprechen somit verträgliches Essen.
Wir hauen uns ein lecker indisch Frühstück rein. Dabei sitzen wir auf den so typischen Highway - Pritschen. Und genau da kommt solch eine Radel- Hasserinnerung hoch, denn sehr oft haben wir in solchen Raststätten gespeist oder gar manchmal geschlafen. Die Pritschen sind nämlich nur bei Tag zum sitzen. Am Abend dienen diese dann als billiger Schlafplatz. Um die 30 Eurocent berappt man da.
Rückblick Radeltour Ende 2007:
Wir hatten über 100 Radelkilometer in den Beinen, keine vernünftige Unterkunft gefunden, zudem war es kalt und wir hatten Hunger. Es wurde schon dunkel. Also, ein Pritschenschlafplatz war zwangsweise angesagt.
Leider war Stromsperre. Ich konnte somit nicht richtig sehen, was es feines zu Essen gab. Egal, Hunger treibt es rein. Ich sah leider auch die Fliegenanzahl nicht. Erst am nächsten Morgen sah ich den Fehler tausendfach. Fliegenanzahl der ganz schlimmen Art surrte durch die Gegend. Doch unvergessliche Nächte leben natürlich nicht nur von einer vermehrten Fliegenanzahl. Da gab es weiteres und auch die Fliegenanzahl braucht ja eine Erklärung.
Wi, mir ist kalt. Wi, da vorne grabbelt was.
Das sind Mäuse, Gi. Und vorhin sah ich deren größere Brüder.
Wirklich? Meinst du Ratten?
Eine Stunde später.
Wi, ich bin nun endlich warm. Doch ich muss unbedingt auf die Toilette. Was mach ich jetzt nur?
Aufstehen! Nach der Toilette fragen. Eigentlich ganz einfach.
Gehst du mit?
Nein! Ja! Selbstverständlich!
Wir quälen uns von den Pritschen, suchen im Dunkeln die Küchenzeile und Gi fragt, gibt es hier eine Toilette?
Natürlich gibt es eine Toilette, antwortet ein junger Mann. Ich hole nur schnell die Taschenlampe, dann zeige ich dir den Weg. Er zeigt Gi den Weg. Ich tappe hinterher. Wir tappeln um die Pritschenbude. Bleib genau hinter mir, sagt der Mann zu Gi. Plötzlich bleibt er stehen. Der Lampen- Lichtkreisel beleuchtet ein Stückchen Wiese.
Wir sind da. Kannst beginnen!
Was beginnen, fragt Gi.
Das ist die Toilette. Ich helfe nur beim leuchten, murmelt der Leuchter.
Jetzt kann man lachen, explodieren, weinen oder ärgerlich sein. Gi selbst war damals nur irgendwie innerlich zerstört. Eine Welt war da kurz für sie zusammengebrochen.
Den Leuchter habe ich weggeschickt. Die Taschenlampe habe ich natürlich übernommen, diskret abgeschaltet und erst auf dem Rückweg, wegen der hochgradigen Tretminengefahr reaktiviert.
Erst Tage später wurde uns bewusst, der Leuchter war kein Spanner. Er war nur hilfsbereit. Es ist sein Job. Er leuchtet allen Wiesen-Toiletten-Bedürftigen der Raststätte durch die Nacht.
Was wir uns jedenfalls während dieser Pritschenerinnerung schwören, diesmal werden wir nicht auf Pritschen übernachten. Garantiert! Diesmal sind wir ja durch unsere Kampfmaschine weit flexibler.
Als wir vom Platz der Pritschen- Erinnerung starten wollen, zeigt eine Inderhand aufs Hinterrad. Die Inder haben ihre Augen wirklich überall. Es ist platt.
Nach all dem Ärger bisher, nun auch noch ein Platten. Doch Hilfe gibt es nur wenige Meter weiter. Somit ist das Hinterrad recht schnell ausgebaut. Ich stehe nur dabei und beobachte die flotte Arbeit des sympathischen Lochfinders. Er zeigt mir wenig später stolz den geflickten Schlauch. Zur Sicherheit taucht er ihn erneut ins Wasserfass. Kein Bläschen ist mehr zu sehen.
Da er sein Handwerk versteht, zeigt er mir auch, dass der Schlauch schon arg abgenutzt ist, sehr dünne Stellen vom Abrieb hat. Um den nächsten Platten lange hinauszuschieben, schneidet er einen seiner alten Schläuche auf, platziert diesen zwischen dem Reifen und geflickten Schlauch und versucht mir dabei zu erklären, dies ist in Indien ganz normal.
Am späten Nachmittag treffen wir in Jaipur ein. Als Pink City wird die Stadt liebevoll in allen Reiseführern beschrieben.
Von Pink sehe ich nichts, denn es regnet erneut. Zwischen all den Regentropfen schiebt sich eine Blechlawine in die Innenstadt. Knapp 4 Millionen Einwohner beherbergt die Stadt. Mir dröhnt der Schädel von den Abgasen, vom unendlich erscheinenden Gehupe und vom Kampf um jeden Zentimeter Platz auf den löchrigen Straßen.
Erst am Abend wird mir bewusst, nur 260 Kilometer in 2 Tagen ist die fette Ausbeute. Geschuldet ist dies den Reperatureinlagen und dem gewöhnungsbedürftigem Verkehr. Egal, wir haben ja Zeit. Natürlich ist der Wunsch unendlich groß, dass die Reparaturen uns nicht täglich begleiten werden, denn die Indienberichte sollen ja keine Reparaturanleitung für eine Royal Enfield werden.
Wir überlegen deshalb recht lange, ob wir denn irgendwas falsch gemacht haben? Da erhellt plötzlich einer von Gis Geistesblitzen unsere Bleibe in Jaipur.
Lass es uns tun, sagt Gi mehrfach. Ich glaube es ist wichtig!
Am nächsten Morgen, noch bevor wir die Farbe Pink in der Pink City suchen, besuchen wir einen Sadhu. Es scheint sogar die Sonne für kurze Zeit. Dies kann nur ein gutes Omen sein! Da Sadhus (Asketen) als erleuchtete Persönlichkeiten, Freund, Berater und Helfer in allen Lebenslagen sein können, setzen wir alles auf eine Karte. Kampfmaschine hat zwar ihren Namen, doch so richtig Kampfmaschinengesegnet wurde sie ja nicht. Wir holen es einfach nach, kaufen dafür ein Blumengebinde - welches wir turnusmäßig auswechseln werden - berappen den Sadhulohn und hoffen dabei, der Sadhu versteht sein Handwerk.
Alles passt. Kampfmaschine ist gesegnet, sogar mit Blumengebinde.
Die Farbe Pink finden wir in der Pink City tatsächlich. Allerdings ist dazu ordentlich Sonne nötig. Scheint die Sonne, dann klappt es wirklich und all die Mauern, die Paläste und Stadttore erleuchten in Pink. Die verwendeten Bausteine besitzen die Grundfarbe Pink, welche bei Sonneneinstrahlung so richtig das Touristenherz erstrahlen lassen.
Nun bin ich nicht der Typ, welcher versucht, zum tausendsten Mal all die berechtigt oder unberechtigt auserkorenen Sehenswürdigkeiten einer Stadt zu beschreiben. Speziell der Bundesstaat Rajasthan, von welchem ja Jaipur mit knapp 4 Millionen Einwohnern die Hauptstadt stellt, wird mit all seinen weiteren Rajasthan - Touri- Städten und Sehenswürdigkeiten in jedem Reiseführer ausführlich und überaus positiv beschrieben.
Was uns persönlich aber wirklich in Jaipur begeistert, ist neben den endlos erscheinenden Basaren zwischen all den mit Zinn bewehrten Pinkmauern, der Palast der Winde.
Bei 35 Grad und gefühlten 100 Prozent Luftfeuchtigkeit, bin ich den Erbauern überaus dankbar. Man stelle sich nämlich nur vor, man wandelt durch den Windpalast und spürt dabei tatsächlich den sehr angenehm frischen Wind bei jedem Meter. Er liebkost deinen schweißgebadeten Körper. Er leckt dich trocken. Du atmest durch und kannst wieder klar denken. Und da du plötzlich wieder klar denken kannst, fragst du dich, warum gibt es nur so viele mit Strom betriebene Klimaanlagen in der Welt? Vor über 200 Jahren hat man ja genau diese Klimaanlage ohne Strom hier bereits gebaut. Um die 900 Fenster sorgen für den Wind.
Von Jaipur sind es nur wenige Kilometer bis Amber. Die alte Königsstadt hat natürlich, Rajasthan üblich, auch einen Palast. Und der liegt fantastisch auf einer Bergkuppe.
Um da ohne Schweißperlen rauf zu kommen, kann man einen der unzähligen Elefanten besteigen. Ohne großartig zu überlegen, tun wir es auch. Nur wenige Minuten später wird uns bewusst, wie blöd wir eigentlich sind. Der arme Elefant quält sich den langen steilen Weg rauf. Es müssen um die 40 Grad sein. Die hohe Luftfeuchtigkeit lässt meine Kameralinse arg beschlagen.
Ob der Elefant schwitzt, kann ich nicht einschätzen. Er muss aber mächtig Durst haben, geht es mir durch den Kopf, denn wir merken recht schnell, er fühlt sich absolut unwohl. Alle paar Meter gibt er komische Geräusche von sich, wobei er fast ständig durch seinen Rüssel bläst. Dieses Blasen geht einher mit dem Ausstoß ekelhafter Flüssigkeit. Da die Wind- und Blasrichtung leider stimmig sind, landet der flüssige Schleim regelmäßig bei uns.
15 lange Minuten ertragen wir die Schleimberieselung im Minutenabstand. Sehr blöd für uns, denn mancher Schleim fliegt uns ins Gesicht. Es geschieht uns aber recht. Die Schleimberieselung hat uns zudem um die 10 stolze Euro gekostet. Wir hätten ja auch laufen können.
Als wir endlich absteigen können, verlangt der Treiber ein zusätzliches Trinkgeld von uns. Umgerechnet weitere 10 Euro sollen wir berappen. Ich denke, ich höre nicht richtig. Da dies der Treiber wahrscheinlich auch denkt, wiederholt er die Summe seiner Begehrlichkeit. Dem hat die Hitze völlig das Gehirn ausgesaugt, vermute ich in diesem Moment.
Jedenfalls reichen meine ausgetrockneten Windungen noch dafür aus, dem unsympathischen Treiber zu erklären, dass ein Trinkgeld, wie der Namen ja schon sagt, bedeutet, er möchte Geld für Trinken. Der einzige der hier was zum trinken braucht, wäre sein geplagter Elefant.
Natürlich erscheint es irgendwie schick, gemütlich und auch spannend auf einem Elefanten zu sitzen. Mir wurde erst bewusst wie anstrengend es für den armen Kerl sein muss, als ich selbst auf seinem Rücken saß. Da ging es echt steil rauf. Die Geräusche waren wirklich fürchterlich. Stunden später haben wir dann auch noch zufällig gesehen, wie die Elefanten ihre Freizeit verbringen. Wie mittelalterliche Knastbrüder mit dicken Eisenketten bewegen sie sich um wenige Zentimeter nach vorne, nach hinten, nach vorne, nach hinten ...
Wir verlassen die Elefantenhochburg Richtung Puskhar. Der relativ kleine Ort gefällt uns auf Anhieb. Relativ klein bedeutet, hier gibt es nur um die 20 Tausend Einwohner. Fast zu 100 Prozent sind es Hindus. Diese haben sich einen wirklich herrlichen Platz zum Leben ausgesucht. Die eigentliche Seele von Puskhar ist ein See. Früher war dieser Seeort ein wichtiger Lager- und Handelsplatz für durchziehende Karawanen. Tempel entstanden. Die Tempel und oftmals dazugehörenden Ghats (Treppen zum See oder zum Fluss) sind den Hindus heilig. Daraus folgt, der Ort ist auch ein Pilgerort.
Da einige der vielen indischen Pilgerorte auch von ausländischen Touristen besucht werden, stimmt dort die touristische Infrastruktur auf indische Art. Dies bedeutet auch, Schlepper können gewaltig nerven. Es gibt aber auch Tage, an denen könnte ich die Nervensägen küssen. In Puskhar geraten wir an solch eine zu küssende Nervensäge. Er will einfach nicht aufgeben. Ob wir ein Zimmer suchen, möchte er ständig wissen. Die Nervensäge gewinnt. Ich stelle ihn auf die Probe.
Ja, wir suchen ein Zimmer für 2 bis 3 Nächte. Sauber, nicht so klein, Balkon wäre nett, gute Aussicht, kostenfreies Wifi ist wichtig und preiswert wäre nett. Auch brauchen wir für Kampfmaschine einen sicheren Nachtlagerplatz.
Habe ich, sagt er. Dabei glänzen seine Augen (Schlepper bekommen vom Hotelbesitzer bis 30% vom Übernachtungspreis).
Habe ich, kennen wir. Das sagen alle Schlepper. Dann folgt meist, sofern wir überhaupt Schlepperdienste in Anspruch nehmen, die Enttäuschung. Da jedoch seine Art und auch seine Augen sehr viel positives ausstrahlen, sage ich diesmal okay. Die Probe geht also weiter.
Er fährt vorneweg. Wir tuckern hinterher. Wir sind freudig überrascht. Probe bestanden! Unsere aller Augen leuchten.
Das Zimmer ist sehr gut. Balkon ist vorhanden. Warmes Duschwasser gibt es zu festgelegten Zeiten. Wifi ist kostenfrei. Wir verhandeln den Preis für 3 Nächte. Jeder ist letztendlich fast zufrieden. Nur Kampfmaschine zieht eine Niete, denn sie bekommt sozusagen den Schmuddelplatz hinter der heiligen Kuh angeboten.
Da uns der Pensionbesitzer glaubwürdig versichert, in seinem Viertel wurde noch nie eine Enfield geklaut, segnen wir die Übernachtungen endgültig ab. Zum Glück, denn zur Pension gehört auch ein zauberhaftes Dachrestaurant mit Blick zum See und den Ghats.
Wir genießen die Zeit in Puskhar, den verwunschenen Blick auf den See, die Wanderungen um den See und die Vielfalt der langen Speisekarte. Stunden sitzen wir auf unserem Aussichtsturm. Wir beobachten dabei die Pilger, bestaunen die bunte Vielfalt ihrer Gewänder und lauschen den immer wiederkehrenden Gesängen aus den Tempeln.
Speziell zum Sonnenuntergang wirkt die ganze Szenerie surreal. Es kehrt Ruhe ein. Ruhe ist in Indien ein kostbares Gut, denn besinnliche Ruhe ist im Land der vielen Menschen nur selten zu haben.
In diesen Ruhephasen bringt mir der Kellner immer ein großes kaltes Bier. Es lächelt mich verschämt aus einer großen Kaffeetasse an. Von Bundesstaat zu Bundesstaat sind die Alkohol- Ausschankgenehmigungen sehr unterschiedlich. Auch kosten die Schank-Lizenzen viel Geld. Deshalb wir oft illegal ausgeschenkt. Mir kann es egal sein, denn auch aus einer Kaffeetasse schmeckt das kühle Kingfisher prima.
Während dieser Kingfisher- Ruhephasezeit lassen wir die Tage ausklingen. Wir sind uns dabei einig, Puskhar hat was. Liegt es nur an der abendlichen Ruhe? Nicht nur, denn Puskhar ist das, was man sich unter einem Pilgerort als gemeiner Tourist vorstellt. Es sind die Farben, die Gerüche, die Pilgerzsenen, das Gewusel in den Gassen, die Geräusche aus den Tempeln und auch die abgasfreie Luft. Uns tun diese Ruhetage in Puskhar sehr gut, denn die Zeit heilt auch unsere Zipperlein. Leider hatten wir vergessen, bei der Segnung von Kampfmaschine auch gleich uns gegen eventuelle Zipperlein segnen zu lassen.
Meine Steißbeingegend ist vom vielen sitzen auf Kampfmaschine irgendwie geprellt, verursacht leichten Schmerz und ist etwas Wund gescheuert. Den Wolf kennen wir ja von unseren Wanderungen und auch teilweise von unserer Weltradeltour, doch war mir nicht bewusst, was Motorradfahrer so alles ''aushalten'' müssen. Was mir dabei aber auch klar wird, wie hätten wir dem Sadhu ein eventuelles Steißbeinproblem als Segnungsgrund erklären sollen?
Gi löst mein Problem recht schnell. Sie verordnet Salbe und ein Sitzkissen. Dabei sagt sie, ihr Männer bleibt halt immer kleine Kinder.
Um ihre Behauptung zu untermauern, erinnert sie mich an ein fast lustiges Problem während unserer längst vergangenen Radeltage in Indien.
Rückblick Radeltour Indien 2007:
Gi hatte schon gut eine Woche den Durchfall der schlimmen Art. Radeln und Durchfall als Mix sind nicht sehr angenehm. In Indien schon gar nicht. Sie hatte einige Kilo abgenommen und auch sonst ging es ihr nicht gerade rosig. Irgendwann kam der Tag, wo es langsam ernst wurde. Also ging Gi in eine Apotheke um Tabletten gegen Durchfall zu kaufen. Die bekommt sie auch. Der Apotheker schreibt ihr auf die Packung auch genau die tägliche Ration.
Leider wird es nicht besser. Ganz im Gegenteil. Das Problem wird sozusagen täglich immer beschissener. In ihrer Not schaut sich Gi die Packung genauer an. Was stellt sie da fest?
Ich mag es gar nicht schreiben, denn bei all der beschissenen Ernsthaftigkeit, werde ich nun Lachsalven nicht vermeiden können, denn der Apotheker hatte ihr tatsächlich Abführtabletten verkauft. Es darf nun kräftig gelacht werden.
Damals war Gis Kommentar, ich hasse dieses Land! Heute können wir kräftig und lange darüber lachen.
Ach ja, bezüglich der Behauptung: Männer sind wie kleine Kinder, Frauen sind wirklich hart im nehmen.
Von unseren Zipperlein geheilt, tuckern wir weiter nach Utaipur. Utaipur ist sozusagen die große Verwandtschaft von Puskhar, denn auch hier gibt es Seen, Tempel, Paläste und Zonen für ruhebedürftige Touristen. Alles ist aber eine Nummer größer.
Trotz der Größe stellt sich bei uns nicht dieses Puskhar- Rundum- Wohlgefühl ein. Wir bleiben deshalb nur kurze 2 Tage und tuckern weiter nach Ahmedabad.
Die ersten tausend Kilometer zeigt mir der Tacho in Ahmedabad. Ahmedabad ist noch um einige Nummern größer. Die 6 Millionenstadt wirkt trotz ihrer Größe irgendwie aufgeräumt. Ist dies einem berühmten Mann der Stadt geschuldet? Gandhi ist diese von mir so geliebte Berühmtheit.
Natürlich besuchen wir den Ashram - Sabarmati (Rückzugsort bzw. spirituelle Gemeinschaft) von Gandhi. Während seines langen Kampfes um die Unabhängigkeit war der Ashram sozusagen sein Hauptquartier. Von hier aus begann auch 1930 der legendäre Salzmarsch.
Die Wirkungsstätte, gelegen an einem großen Fluss, wirkt noch heute idyllisch. Große Bäume sorgen für Schatten. Friedliche Stimmung kommt mir da in den Sinn.
Es gibt ein informatives Museum. Und man kann auch die sehr spartanische Wohnung von Gandhi besichtigen. Da steht auch sein Spinnrad in einer Ecke des fast kahlen Raumes.
Wir verweilen einige Stunden im Ashram. Wir sind während dieser Zeit die einzigen ausländischen Touristen. Nur selten verirren sich Ausländer nach Ahmedabad.
Was empfindet man an solch einem Platz? In mir werden Erinnerungen wach gerufen. Filme über Gandhi habe ich gesehen. Bücher von und über Gandhi habe ich gelesen. Egal ob ich nun gesehen oder gelesen habe, jedes Mal war ich erneut berauscht von dieser Person. Sehr hat mich seine Weisheit, seine Einfachheit, sein fast übermenschlicher Wille, sein gewaltfreier Kampf für sein Indien und besonders sein Kampf im Interesse von wirklich bedürftigen Menschen fasziniert.
Noch am Abend bin ich wie elektrisiert, verstört und auch traurig, denn beim Verlassen vom Ashram, erleben wir nur wenige hundert Meter vom Ashram entfernt, unbegreifliches.
Unterhalb der Hauptstraße zum Ashram, befindet sich in einer Senke, eines der Armenviertel der Stadt. Vor einer erbärmlichen Hütte liegt ein Kind in einer Hängematte. Wir bemerken sofort, dass mit dem Kind etwas nicht stimmt.
Ist das Kind krank oder fehlt dem Kind einfach nur genügend Nahrung? Wir werden es nie erfahren.
Neben der Hängematte sitzt ein recht beleibter Mann. Um den Mann herum liegen leere Bierflaschen. Er ist betrunken. Auch wirkt er leicht aggressiv auf mich. Eine sinnvolle Unterhaltung, um dem Kind irgendwie zu helfen, kommt leider nicht zustande.
Indien hat weit über 1 Milliarde Menschen. Davon leben noch immer ca. 400 Millionen in bitterer Armut. Indien besitzt viele Atombomben und leistet sich Flugzeugträger. Pervers? Natürlich empfinde ich dies als absolut pervers. Jetzt könnte ich unendlich viel Müll über Indien auskippen, denn den gibt es reichlich. Aber nicht nur Indien ist in dieser Beziehung pervers. Deshalb müsste der perverse Müll über viele Länder verteilt werden.
Bedürftige Menschen, Menschen welchen unbedingt geholfen werden müsste, gibt es auch in Deutschland, in Südamerika, in den USA, in Afrika und, und, und …
Was es leider fast gar nicht gibt, sind Menschen wie Gandhi.
Von der Gandhi-Stadt sind es nur relativ wenige Kilometer bis zum Meer. Wir freuen uns aufs Meer. Genau ist es der Golf von Gambay. Dieser zieht sich nach Süden bis zur Megastadt Mumbai. Doch wenn ein Gewässer den Beinamen Golf hat, zudem Mumbai sozusagen als Nabelschnur anhängt, so ist Vorsicht angesagt, denn nur selten ist ein Golf wirklich so richtig zum baden tauglich.
Der Sonnenuntergang selbst sieht herrlich aus, denke ich zumindest. Der würde sich im Neckermann Reisekatalog für diese Region einstellen lassen. So können Bilder aber täuschen, denn noch nie haben wir solch ein mistiges Gewässer gesehen. Und natürlich verkauft Neckermann auch keinen Badeurlaub am Golf von Gambay. Da könnte Neckermann sehr schnell seinen Laden dicht machen. Das es die Inder mit Umwelt- und Gewässerschutz, vornehm ausgedrückt, sehr lotterhaft nehmen, ist ja weltweit kein Geheimnis, doch was wir hier erleben, spottet jeder Beschreibung. Um die 150 Kilometer Küste bis Mumbai sind total vermüllt. Um die Badewasserqualität überhaupt testen zu können, müssten wir über Müll stiefeln. Dafür wäre ein Ganzkörperkondom sehr dienlich. Zwangsweise bleiben wir eine Nacht am Müll-Strand. Der Tag neigt sich nämlich zum Abend.
Wer denkt sich nur solche paradiesischen Namen für einen total vermüllten Strand aus? Der Strandabschnitt hat tatsächlich den Namen Silberstrand. Der Name Schweinchenküste ist mir übrigens eingefallen, da wir entlang der gesamten Küste, bis runter zum südlichsten Indienpunkt (Kap Komorin) fast täglich irgendwie auf richtige Schweine treffen werden. Sie rennen durch die Dörfer und Städte, suhlen sich im Müll, in Abwässern und ich muss beim Zusammentreffen immer ordentlich acht geben, dass ich ja keines der so freien Schweine überrolle. Zur Ehrenrettung der Schweinchen, sie sind natürlich an der Golfvermüllung nicht Schuld. Die eigentlichen Schweine sind ganz andere.
Wegen der unangenehmen Vermüllung legen wir ab Daman einen Zahn zu. Wir nehmen uns zumindest vor, einen Zahn zuzulegen. Mumbai versuche ich dabei weiträumig zu umfahren. Die von Menschenmassen wimmelnde Großstadt ist uns nicht unbekannt. Sie hat gewiss einige schöne Seiten, doch mindestens genauso viele bescheidene Blätter.
Ob in Mumbai 20, 25 oder noch mehr Millionen Menschen leben ist nicht bekannt. Genaue Zahlen gibt es nicht. Was aber sicher ist, ungefähr die Hälfte der Einwohner lebt in sogenannten Slums. Dort gibt es keine Wasseranschlüsse und keine Kanalisation. In diesen Slums sind biblische Krankheiten und die Kindersterblichkeit sehr hoch angesiedelt.
Der Versuch der weiträumigen Umfahrung ist geprägt von weiteren Problemen der Megacity. Stau folgt da auf Stau. Wir atmen dabei Abgase und Staubwolken ein, welche wir als Überdosis empfinden und so noch nie erlebt haben. Wenn ich dann aber fahre, hoppeln wir von Schlagloch zu Schlagloch. Ich kämpfe um Vorfahrten und bin nach Stunden im Stau, nach Stunden in den Abgaswolken, und dem irgendwann unerträglichem Gehupe, fast völlig am verzweifeln. Ich bin einfach nur noch geschafft. Ich könnte auch schreiben: Mit den Nerven am Ende!
Südlich von Thane (Thane gehört noch zum Großraum von Mumbai) gebe ich auf. Wir steuern die nächstbeste Unterkunft am Highway Nummer 4 an. Ich mag nicht in der Nacht fahren. Circa 200 Kilometer ist die Tagesausbeute. Diese geteilt, durch ca. 10 von Abgasen geschwängerten Stunden, entspricht erstaunlichen 20 Kilometern pro Stunde.
Das nächstbeste Hotel ist nur eine Notlösung für eine Nacht. Zum Glück haben wir unseren eigenen Bettüberzug dabei. In manchen Unterkünften der Billigkategorie erfolgt ein Wechsel der Bettlaken nämlich nur sporadisch.
Man bringt uns zwei staubtrockene Handtücher. Man bringt uns ein Stückchen geruchloser Seife. Man zeigt uns, welche der 7 Lampen wirklich funktionieren, welcher Kippschalter zu welcher Lampe gehört und auf welcher Steckdose wirklich Strom umherirrt. Man wechselt die toten Batterien der Fernbedienung für den Fernseher. Komisch dabei, wir wollen eigentlich gar nicht schauen. Interessant dabei, die Jungs sind immer mächtig stolz über ihre Fernseher. Man zeigt uns die europäische Toilette. Auch hier verzaubert viel Stolz den Raum. Man bringt uns eine Alukanne mit Trinkwasser. Man fragt, ob wir einen Tee möchten.
Was wir wirklich möchten, dauert dafür aber sehr lange. Versprochen wurde uns, es gäbe tatsächlich eine heiße Dusche. Der Hahn spuckt aber nur einen dünnen Faden kaltes Wasser aus. Also frage ich nach. Ja, das heiße Wasser wird kommen, ist die Antwort. Nach einer halben Stunde klopft es erneut an der Tür. Kaum geklopft, geht die Tür auch schon auf. In der Hand hält der Junge einen dampfenden Eimer mit heißem Wasser. Die Notlösung entpuppt sich als gute Lösung. Die Jungs sind zwar sehr neugierig, somit auch nervig, doch letztendlich aber auch auf Zack.
Das es auch ohne viel Neugierde geht, erleben wir Tage später.
Die Landschaft wird endlich grüner und verzaubert wirkende Hügelketten säumen den Weg. Die Unterkünfte suchen wir uns schon immer am frühen Nachmittag. Wir tuckern dann ohne Gepäck ein bisschen durch die Landschaft oder unternehmen kleinere Wanderungen. So manchen Fluss, so manches Flüsschen überqueren wir, entdecken dabei viel schönes und erfreuen uns der täglich zunehmenden Andersartigkeit. Die Wasserbüffel überraschen uns mit ihrer erfreulichen Gemütlichkeit.
Wir entdecken den ersten Wasserfall in den Hügelketten. An manchen Tagen tuckern wir über Stichstraßen an die Küste. Von Tag zu Tag stellen wir dabei fest, der Müll wird weniger und das Meer bekommt eine bessere Farbe.
Der kleine Bundesstaat Goa wird sehr oft als wunderschön beschrieben. Schuld daran sind angeblich die herrlichen Strände, die sattgrünen Reisfelder, das kristallklare Wasser, das gute Essen, die weißen Kirchlein unter Palmen, die nie endenden Techno-Partys und vieles mehr. Ich kann da nur zustimmen, denn bis auf die Partys ist Goa noch immer ein indischer Traum im Sinne von: Ich mach mal ordentlich Urlaub jetzt!
Nach bisher 2040 ertuckerten Kilometern genehmigen wir uns genau diesen Traum!
Wir nächtigen in Anjuna, bekannt auch als fester Bestandteil der Goa- Hippieszene. Geliebt wird Anjuna außerdem auch wegen seinem berühmten Flohmarkt. Dieser ist in der Nebensaison allerdings leblos. Für uns kein Problem, denn wir lieben die Ruhe. Ruhe gibt es für uns sehr viel. Es ist nämlich gerade absolute Nebensaison.
Wir suchen uns eine Unterkunft ohne viel Neugierde. Dies fällt nicht schwer, denn in der absoluten Nebensaison bleiben viele Betten leer, ist somit der Preis auch gut verhandelbar und beim Verhandeln kann man auch gleich den Neugierfaktor einschätzen.
Unser Basislager für die nächsten Tage ist keine Notlösung. Man bringt uns mauschelige Handtücher, gut riechende Seife und frisches Trinkwasser. Dafür wir nur einmal an unsere Tür geklopft. Der Neugierfaktor ist fast Null. Die Dusche berieselt uns mit heißem Wasser. Und viele, viele Palmen werfen Schatten auf unsere Veranda. Wir genießen die Aussicht und lauschen den Wellen. Was braucht man mehr?
Natürlich braucht man, zumindest wir, auch etwas Bewegung. Lange Spaziergänge durch Palmenhaine, an Reisfeldern entlang, durch Dörfer und am hübschen Strand sind angesagt. Auch wenn keine Hochsaison ist, so ist am Strand doch oft einiges los.
Die Inder sind ein absolut interessantes Volk. Ich liebe Andersartigkeiten, denn ich Frage mich da immer, warum ist es so, warum sind sie so? Und in Indien gibt es viele dieser Fragestellungen.
Die Inder sind immer in Gruppen unterwegs. Ganze Dorfgemeinschaften, zumindest die, welche es sich leisten können, hoppeln mit vorzeitlichen Bussen, besonders an den Wochenenden, an den Strand. Dort wollen sie ihren Spaß haben. Spaß ist ja weltweit erlaubt. Was mich aber wundert?
Warum schmeißen, rollen, hüpfen und schaukeln sie sich alle nur ins flache Wasser? Warum kommen manche Männer nicht mehr auf die Beine? Warum trillern die Rettungsschwimmer ständig mit ihren Trillerpfeifen?
Die meisten Inder können nicht schwimmen. Viele von den Nichtschwimmern kommen in ihrem Leben nur einmal an den Strand. Vor lauter Freude schmeißen, rollen, hüpfen oder schaukeln sie sich dann in die kleinen Wellen am Ufer. Da die Rettungsschwimmer natürlich wissen, dass die meisten Inder Nichtschwimmer sind, trillern sie ständig sobald einer von ihnen 2 Meter vom Ufer weg ist.
Ja, die meist männlichen Busladungen wollen ihren Spaß haben. Um ordentlich Spaß zu haben, trinken viele von ihnen viel Bier und härtere Sachen. Bei über 30 Grad hinterlassen die Prozente halt ihre Spuren.
Warum sind an diesen Wochenenden aber so viele Männer am Strand? Genau wie in vielen anderen Gesellschaftsformen auch, haben die Männer in Indien einfach mehr Rechte, nehmen sich mehr Rechte raus, und werden oft noch durch die Landespolitik oder durch die vorherrschenden Religionen dabei unterstützt. Trotzdem gönne ich ihnen ihren Indischen Männertag, denn trotz Prozente sind sie in der Regel nur sehr lustig und nicht aggressiv.
Nach längerer Überlegung komme ich auf einen weiteren Grund bezüglich der Männerhoheit. Es wird geschätzt, dass in Indien die Männeranzahl ca. 15 Prozent über den biologisch normalen Durchschnitt liegt. In einigen Familien wird leider dafür gesorgt, dass mehr von den so ''wichtigen'' Männer das Licht der Welt erblicken. Im Gegenzug bedeutet dies natürlich, Mädchen werden abgetrieben oder es geschieht gar noch schlimmeres.
Da es natürlich auch viele normal denkende Inder gibt, sind auch Frauen am Strand zu sehen. Und ich empfinde genau diese Frauen als die eigentlichen Farbtupfer an den langen Stränden der Westküste. Folgendes Bild zeigt uns zudem, auch ohne Alk-Prozente gibt es scheinbar viel zu lachen.
Das die Wellen an Goa's Küste auch ohne Alkohol gefährlich für Schwimmer sein können, erlebe ich selbst leidvoll. Da an einem Tag die Wellen besonders hoch sind, muss ich natürlich den Nichtschwimmern vorführen, was für ein Kerl ich bin. Die Show dauert nur wenige Minuten, denn eine sogenannte Doppelwelle (2 hohe Wellen kurz hintereinander) haut mich gewaltig durch die Küstenwaschmaschine. Ich verliere blitzschnell die Unterwasserorientierung, drehe mich im Schnellwaschgang und knalle sehr hart auf den Meeresgrund.
Der dabei empfundene Schmerz ist nicht ohne. Am Strand angekommen, bin ich happy, es irgendwie bis dorthin geschafft zu haben.
Die folgende Nacht geht einher mit sehr schmerzhafte Stunden. Meine rechte Schulter hämmert. Es sind regelrechte Schübe. Dabei schwitze ich wie ein Saunagänger. Ich schwöre mir, am Morgen wird ein Arztbesuch stattfinden, denn da ist wirklich was nicht in Ordnung!
Gi mag sich das Gewimmer von Wi in der Nacht nicht mehr anhören. Aus einer ihrer Wundertüten zaubert sie Schmerztabletten hervor. Sie bastelt mir aus einem Tuch eine stabile Stütze für meinen Arm. Irgendwann schlafe ich wirklich ein.
Als ich aufwache, verspüre ich noch immer große Schmerzen, doch sie sind nun fast erträglich. Der Arztbesuch kann warten, beschließe ich. Wir verlängern unsere Übernachtung um 3 weitere Nächte. Dann kann ich sicherlich Kampfmaschine wieder steuern, sage ich etwas wehleidig zu Gi. Und mir zeigst du jetzt wie Kampfmaschine funktioniert, sagt überraschend Gi in sehr ernsthafter Tonlage. Wir wollten doch nach Arambol tuckern. Das muss ja ich jetzt übernehmen! Im Schnelldurchgang zeige ich Gi die Feinheiten und Grobheiten von Kampfmaschine.
Wenig später tuckert Gi wie ein Profi die holprigen 30 Kilometer bis Arambol. Und natürlich auch zurück. Was für ein Mädel hab ich dabei! Wenn nur nicht all die Schmerz erzeugenden Schlaglöcher wären, ich würde mich wie im siebten Himmel fühlen.
In Arambol haben wir während unserer Weltradeltour Silvester 2007 erlebt. Ich werde es nie vergessen, denn es war meine erste Technoparty. Nach einer halben Stunde eintanzen, wirbelte ich dann bis zum Morgen im Rhythmus meiner damaligen neuen Leidenschaft.
Nach 3 Tagen sind die Schmerzen noch nicht ganz weg, doch ich fühle mich besser. Wir bepacken Kampfmaschine und tuckern weiter Richtung Süden. Goa wollen wir noch nicht verlassen. Ein weiterer Strand soll uns die Zeit versüßen. Was wir da noch nicht Wissen, es wird ein Zauberstrand für uns werden.
Bis zum nächsten Goa-Strand ist es nicht weit. Und da Goa's Strassen relativ wenige Schlaglöcher zu bieten haben, hält sich mein Schulterschmerz in erträglichen Grenzen. Unser zweiter Auszeitstrand gehört zum kleinen, von Palmen gesäumten Ort Palolem. Wir mieten uns ein Zimmer mit Veranda nur wenige Meter vom Strand entfernt.
Die eigentliche Krönung ist jedoch der halbmondförmige Strand. Es ist für uns ein Ort zum Durchatmen. Hier fallen an den Wochenenden noch keine Horden von Männertags- Ausflugs- Indern ein. Spätestens um 22 Uhr werden die nicht vorhandenen Bürgersteige hochgeklappt. Was macht man dann aber an solch einem Strand, in solch einem theoretisch langweiligen Ort?
Nur in der Sonne braten, mögen wir nicht. Täglich wandern wir zum nördlichen Ende vom Halb-mondstrand, denn dort ist es für uns am schönsten.
Um die Schönheit erleben zu können, durchwaten wir einen Fluss, laufen am Haifelsen vorbei, und suchen uns einen schattigen Platz an einem der bizarr wirkenden Felsen.
Hier verbringen wir viele Stunden. Ich schreibe an meinen Texten. Wir beobachten tausende von Krebsen. Wir beobachten die Fischer. In unserer Superunterkunft gibt es Bücher und Zeitungen. Zwei Spiegel verschlinge ich regelrecht. Mit den Spiegeln sind natürlich die Zeitschriften gemeint, und keine Spiegel zum reinschauen. Ein Buch macht mir besondere Freude. Ich bin dann mal weg – von Hape Kerkeling. Ich verschlinge es regelrecht, denn so mancher Satz, so manche Episode, so manche Kerkerling- Fuß- Blase und so manche unbeantwortete Frage, erinnert mich stark an unsere eigene längere Wanderung durch 11 Länder. Ein wunderbares Büchlein.
Zwischen den vielen Buchstaben besuche ich Gi im Wasser. Bei annähernd 30 Grad Wassertemperatur kann sie sich nämlich kaum vom nassen Element lösen. Die Wellen sind kindgerecht klein. Ein weiterer Schnellwaschgang ist somit zum Glück für mich ausgeschlossen.
An einem Tag, es ist gerade Ebbe, laufen wir durchs kniehohe Wasser zur vorgelagerten Insel. Wir erkunden die Palmeninsel, fühlen uns dabei wie Robinson und schauen andächtig von oben zum langen Zauberstrand.
Bekommen wir Hunger, so durchforsten wir eine der Speisekarten in den zahlreichen Strandrestaurants. Meine Augen bleiben da immer bei den Steaks kleben. Im Land der vielen Vegetarier gibt es also auch Steaks. Sogar ''Heilige Steaks'' sind in Goa kein Tabu. Ich liebe Indien!
An den Abenden gibt es immer einen Pflichttermin. Gegen 18.30 versinkt die Sonne im Meer oder hinter unserer Robinson-Insel. Ich mag Sonnenuntergänge. Drei meditierende Männer erblicke ich im Sucher. Ihre Körper werfen Schatten im feuchtem Sand. Ich habe sie nicht bestellt.
Sie sind nicht meine Models. Zum Glück waren sie einfach nur so da. Jeder Pflichttermin überrascht mich anders. Das Sonnenuntergangs- Orchester von Palolem spielt in feinsten Farbtönen. Täglich eine halbe Stunde dauert die grandiose Aufführung. Das perfekte dabei? Jede Aufführung ist ein Genuss für die Sinne.
Unsere Insel scheint an manchen Abenden zu brennen.
Die Tage in Palolem haben meiner Schulter gut getan. Auch wenn es schwer fällt, wir verlassen die Zauberbucht. Indien ist groß.
Wir brauchen einige Tage um den nächsten Bundesstaat zu durchtuckern. Karnataka hat nicht die schönsten Strände. Da die Inder aber pfiffige Leute sind, setzten sie einfach einige monströs wirkende Tempelkomplexe in den Küstensand. Das Ziel ist erreicht, denn wer tuckert da schon vorbei.
Der eindrucksvolle Tempelkomplex verstrahlt seine religiöse Energie auf einer Halbinsel in Murudeshwar. Ein monumentaler Eingangsturm (Gopura) zum eigentlichen Tempel, grüßt schon aus weiter Ferne. Kein Wunder bei 20 Stockwerken und über 237 Meter Höhe. Natürlich ist es ein viel besuchter Pilgerort für die Hindus. Und da die Hauptreligion im Land der Hinduismus ist, sind, wie meist bei besonderen Tempeln, Menschenmassen unterwegs. 80 Prozent der 1,3 Milliarden Inder sollen Hindus sein.
Der Blick vom Turm ist grandios. Neben dem Haupttempel sind weitere Tempel am Strand platziert.
Von unserem Zimmer aus, bestaunen wir am Abend die Shiva- Statue in ausgeleuchteter Pracht. 123 Meter reicht sie gen Himmel.
Der Hinduismus, die Nummer 3 in der Religions- Weltrangliste, ist eine recht komplizierte Religion, zumindest was eine fundierte inhaltliche Kurzbeschreibung meinerseits betreffen würde. Es fällt mir nämlich nicht leicht, die Bedeutung von den vielen Göttern, manchem Hauptgott, den weiteren Nebengöttern und den zwangsweise damit einhergehenden unterschiedlichen Ausrichtungen in Kürze auf den Punkt zu bringen. Was allerdings leicht verständlich erscheint, alle Hindus glauben an die Wiedergeburt und Erlösung. Sie gehen davon aus, dass man als Mensch, als Tier oder auch als Stein wiedergeboren werden kann.
Egal, letztendlich wird natürlich auch in dieser Religion behauptet, dass diese die Beste ist. Und genau da bricht in mir die Wut aus, denn wie bei allen anderen Religionen auch, werden tief sitzenden Wunden keinerlei Heilung angetan. Das Kastensystem, welches in Indien noch immer für viele Menschen das Leben vorbestimmt, ist dafür ein unrühmliches Beispiel. Wobei ich auch gleich ehrenvoll hinzufügen möchte, dass es einige wenige Ausrichtungen im Hinduismus gibt, welche das Kastensystem ablehnen.
Nach vielen weiteren Tempeln, tuckern wir im Wunderland Kerala (weiterer Bundesstaat) ein. Genau wie Wunderland Goa, zählt auch Kerala zu den Vorzeige-Bundesstaaten von Indien. Warum? Es sind die wohlhabendsten Gebiete von Indien. Die Bildung ist jeweils sehr hoch und durch den Tourismus wird relativ viel Geld in die Bundeskassen gespült. Kerala hat die höchste Alphabetisierungsrate mit weit über 90 Prozent. Die Kindersterblichkeitsrate beträgt nur 1 Fünftel vom Landesdurchschnitt. Und wer in Kerala geboren wird, wird im Vergleich zu Restindien um die 10 Jahre später sterben. Und wem haben die Menschen in Kerala dies hauptsächlich zu verdanken?
Man staune, Kerala war 1957 der erste Bundesstaat in der Welt, in dem bei demokratischen (!) Wahlen die Kommunisten an die Macht kamen. Seit dieser Zeit wechselt die Macht zwischen der Kommunistischen Partei und der Kongresspartei. Und genau diese Wechselwahlwirkung scheint Kerala gut zu tun.
Man sieht hier wirklich kaum Armut im Sinne der sonst üblichen indischen Armut. Den Menschen geht es weit besser. Was für mich dabei spannend ist, die 3 Hauptreligionen in Kerala sind der Hinduismus, der Islam und das Christentum. Wieso übernehmen dann aber die Kommunisten schon über Jahrzehnte eine führende Rolle? Es können nur besonders pragmatische Kommunisten sein, denn Religion und Kommunismus sind ja eigentlich wie Feuer und Wasser.
Neben einigen ordentlichen Stränden, gibt es zwei weitere Touristenmagnete in Kerala. Es sind Kochi und die Backwaters.
Wir beziehen eine schöne Unterkunft neben der Santa Cruz Basilika. Fort Cochin ist irgendwie ein mittelalterlicher Mix aus Holland, England und Portugal. Dieser Mix aus Friedhof, Kirchen, alten Vierteln und Museen ist natürlich interessant, doch weit mehr bewegen mich immer die Geschichten am Rande.
Neben der Basilika ist eine Schule. Da beobachten wir täglich die Schülerinnen. Es ist eine Mädchenschule (es gibt auch gemischte Schulen). Fast alle Mädchen kommen am Morgen mit Fahrrädern zur Schule. Da jedes Fahrrad fast gleich aussieht, war es vielleicht eine Idee der Kommunisten diese Fahrräder den Mädchen zur Verfügung zu stellen?
Egal wer die Idee hatte, wir finden es einfach gut, denn neben der Abgasreduzierung im geplagten Indien, ist es normalerweise auch nicht üblich, dass das weibliche Geschlecht als Pedalritterin unterwegs ist. Was uns noch auffällt?
Die Mädchen tragen Schuluniformen. In ganz Indien besteht für die Schüler und Schülerinnen Schuluniformpflicht. Neben einigen Nachteilen, hat dieser Zwang sicher auch viele Vorteile, finde ich zumindest. Der soziale Status tritt zum Beispiel in den Hintergrund. Zumindest sind für einige Stunden dann alle gleich. Zumindest die, welche in die Schule gehen oder mit dem Fahrrad dorthin fahren dürfen. Übrigens bekommt auch jedes Kind, welches die Schule besucht, ein kostenfreies Essen vom Staat spendiert. Ich gratuliere Indien ausdrücklich dazu! In vielen, oftmals weit reicheren Ländern, ist man diesbezüglich ja nicht so spendierfreudig. Warum nur?
An einem Abend sitzen wir in einem Dachrestaurant in der Nähe vom Fähranleger zur Insel Vypeen. Anders als in unserem auserwählten Restaurant, herrscht am Fähranleger viel Betriebsamkeit. Wir sind die einzigen Gäste. Nach dem Essen wissen wir auch warum!
Auch wenn wir das Essen unter Mangelhaft einstufen, so ist das Dachresto selbst ein überaus interessanter Ausguck, denn in wenigen Minuten wird die Sonne im Meer versinken, und somit ist es auch ein idealer Platz um die berühmten chinesischen Fischernetze von Fort Cochin bei Sonnen-untergang abzulichten.
Nebenbei können wir den Fährbetrieb beobachten. Mit einer dieser Fähren waren wir gemeinsam mit Kampfmaschine, noch vor wenigen Stunden unterwegs. Nur wenige Meter von den altersschwachen Fähren entfernt, bringen recht große Fischerkähne ihren Fang an Land. Ein Kahn steuert plötzlich auf unser Dachresto mit überhöhter Geschwindigkeit zu. Andere Fischer bemerken dies und beginnen eine wahre Konzerthuperei. Es hilft nicht! Der Kahn knallt mit voller Wucht gegen die Grundmauern unseres Resto. Wir merken die gewaltige Erschütterung.
Der Koch, die Kellner, der Besitzer vom Restaurant, und gefühlt weitere hundert Inder, belagern nur wenige Sekunden später unseren Superausblick. Inder sind von Natur aus sehr neugierig. Alle schreien den Kapitän vom Kahn an. Der antwortet nicht. Er knallt den Rückwärtsgang in die Schiffschraube und versucht seinen Rosthaufen um andere Kähne zu steuern. Gelingt auch nicht so recht ordentlich, denn 2 Kähne rammt er dabei richtig mächtig. Der Höhepunkt der Aufführung ist die Flucht vom Rammbock. Drei Fischerkähne nehmen die Verfolgung auf.
Als sich die Inder irgendwann beruhigen, frage ich den Restaurantbesitzer aus purer Neugier, gab es je so viele Besucher in deinem Restaurant? Und gibt es diese Aufführung vielleicht jeden Abend?
Ich komme mir dabei sehr witzig vor.
Ja, vor gut einer Woche war mein Restaurant noch mehr voll. Da ist einer von den Fischerkähnen mit voller Wucht in eine der Fähren geknallt. Die ist sofort untergegangen. 7 Menschen sind dabei ertrunken.
Natürlich wird mir bei dieser Antwort die sofortige Peinlichkeit meiner Fragen bewusst. Doch gefragt, ist gefragt! Ich könnte mich in den Arsch beißen. Der Besitzer scheint mir dies anzumerken, denn sogleich sagt er, ist ja nicht deine Schuld. Der Kapitän war besoffen, genau wie der von vorhin.
Am nächsten Abend sitzen wir erneut im Dachrestaurant. Wir sind erneut die einzigen Besucher. Vorher habe ich die Fischernetze im Glutrot der Abendsonne abgelichtet. Schönheit und Leid liegen oft dicht beieinander. Nur wissen tut man es oft nicht.
Die Backwaters sind ein System aus wunderschönen Seen, Inseln und Kanälen auf einer Fläche von ca. 800 Quadratkilometern. Zur Backwater-Hochburg zählt die Stadt Alappuzha. Hier bleiben wir aus unterschiedlichen Gründen eine Zeit. Dafür fahren wir in einen Ortsteil von Alappuzha am Meer. Gute Wahl, denn wir erhandeln ein schönes, sauberes Zimmer mit Ozean- Wellen- Nachtmusik.
Am ersten Tag suchen wir den erhofften Enfieldshop in Alappuzha. Es gibt wirklich eine große Werkstatt und Verkaufsraum. Wir staunen! Somit ist eine Frischzellenkur für Kampfmaschine angesagt. Die Enfield-Jungs sind begeistert von unserer bisherigen Tour. Wir sind angeblich die ersten ausländischen Touristen, welche in ihrem Laden, mit einer Bullet, aus dem fernen Delhi aufkreuzen.
In Auftrag gebe ich einen Ölwechsel, Ölfilterwechsel, die Reinigung des Luftfilters und eine Generalreinigung von Kampfmaschine selbst.
Am zweiten Tag können wir Kampfmaschine abholen. Sie glänzt wie neu geboren. Am dritten Tag beschauen wir Kanäle und Hausboote. Der absolute Renner für Touristen ist hier, sich ein Hausboot mit Mannschaft (Steuermann + Koch) zu mieten.
Wir schauen uns einige Hausboote an. Da sind wirkliche Schmuckstücke dabei. Der Mietpreis würde umgerechnet zwischen 60 und 80 Euro pro 24 Stunden inklusive Fahrt durch die wunderschönen Kanäle und Seen kosten. Unser Zimmer mit Meerblick kostet 10 Euro pro Nacht. Auch wenn es uns juckt, wir mieten kein Hausboot, denn nach einiger Überlegung wird uns bewusst, unser Meerblickzimmer ist super. Auch sind wir ja irgendwie Individualisten. Selbst das Boot steuern wäre für uns perfekt, doch dies mögen die Vermieter nicht.
Egal, man muss nicht alles haben. Und um die Backwaters zu bestaunen, gibt es zudem eine wunderbare Ersatzlösung. Genau diese praktizieren wir an Tag 4. Im Herzen von Alappuzha legen die Fähren nach Kottayam ab. Diese überqueren den Vembanad-See und machen halt an unterschiedlichsten Kanälen. Hin und zurück (ca. 6 Stunden) schippern wir fast einen ganzen Tag, denn in Kottayam genehmigen wir uns ein längere Pause.
Die Fahrt selbst ist herrlich. Von Palmen gesäumte Kanäle durchqueren wir. Von isolierten Dörfern steigen Bewohner aus oder zu. Zu sehen, zu bestaunen, und zu enträtseln gibt es ständig etwas.
An Tag 5 in Alappuzha - wie schnell doch so die Zeit vergeht - führen wir geputzte Kampfmaschine aus. Während wir im Meer tollen oder einfach nur unterschiedliche Strände ablaufen, darf Kampfmaschine sich im Schatten der Palmen ausruhen.
An Tag 6 packen wir erneut zusammen. Wir tuckern weiter Richtung Süden. 4 Tage später rollen wir im nächsten Bundessaat (Tamil) ein. Unser Ziel ist Kanyakumari. Diese schmucke Kleinstadt beherbergt den südlichsten Festlandpunkt von Indien. Es ist das Kap Komorin. Drei Meere vereinigen sich hier am Ende von Indien. Als ich am Kap Kampfmaschine in Ruhestellung versetze, zeigt mir der Tacho 3.410 ertuckerte Kilometer seit unserem Start in Delhi.
Die Stadt gefällt uns auf Anhieb. Auch lernen wir am Kap einen wirklich ganz außergewöhnlichen Inder kennen. Was an ihm so außergewöhnlich ist, und warum uns die Stadt so gefällt, erzähle ich aber erst im nächsten Teil.
Dankeschön für Ihr Interesse!!!